Reiseberichte aus dem Sanella-Album Mittel- und Südamerika

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Seite 26

Wir marschierten weiter. Nicht lange, und wir standen am Ufer eines Flusses. Was nun? Aber die Indianer wußten Rat. Sie zogen ihre spärliche Bekleidung aus - es war nicht viel, bündelten sie zusammen und zogen unter dem Gebüsch einen zurechtgestutzten Baumstamm hervor. Schon schwamm er auf dem Wasser, sie klammerten sich mit einer Hand an, hielten mit der anderen ihre Habseligkeiten hoch und ruderten mit den Beinen. Schräg zur Strömung gewannen sie das andere Ufer. Wir standen verdutzt. Unsere beiden Führer winkten von drüben und zeigten auf die Uferböschung. Dort lagen noch mehr solche Stämme. Was blieb uns übrig, als das gleiche zu tun, obwohl wir viel mehr Gepäck hatten. Es war die abenteuerlichste Flußfahrt meines Lebens. Ich hatte Angst, richtige Angst und dachte abwechselnd an die Piranhas und die Krokodile. Gab es hier zufällig keine? Oder hatten wir nur Glück? Auf jeden Fall kamen wir heil hinüber. Drüben ging es eine Zeitlang am Ufer entlang. Plötzlich sahen wir fast nackte Gestalten am Ufer: Waldindianer, die nur einen Lendenschurz und einen Kopfschmuck trugen. Aber was taten die denn? Sie standen aufrecht mit gespannten, großen Bogen und zielten mit langen Pfeilen aufs Wasser. Sie schossen Fische - eine besondere Kunst. Unsere beiden Indianerführer sahen geringschätzig zu ihnen hin. Was galt ihnen diese Fischjagd gegen einen Zweikampf mit dem Jaguar! Die Waldindianer blickten mißtrauisch herüber, ihre Bogen und Pfeile noch immer erhoben. Wir zogen weiter, um einen Zusammenstoß zwischen den Angehörigen so verschiedener Stämme zu vermeiden.

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Der grünen Hölle entronnen!

Ja, das ist ein langer Brief geworden, lieber Jupp, und ich habe Dir noch gar nicht gesagt, wo ich ihn schreibe. Zwei Tage nach der Flußüberquerung hatten wir es geschafft. Der Wald wurde lichter, das Land stieg an. Die Indianer hatten uns noch die Richtung gewiesen und waren umgekehrt. Nicht lange mehr, und wir standen auf einer breiten Lichtung und vor dem Bretterbau eines Siedlers. "Ein Weißer!" rufe ich, als ein Mann aus der Tür tritt. "Grüß Gott, meine Herren!" Stell Dir unsere Überraschung vor: Es war ein Deutscher, seit Jahren schon im Lande, einst vom Goldfieber gepackt, während des letzten Krieges hatte er sein Vermögen verloren, nun wollte er mit zwei Kameraden von vorn anfangen. Es war eine sehr herzliche Begrüßung. Die Siedler boten uns Mate Tee als Willkommenstrunk an. Das ist eine Art Nationalgetränk in Südamerika. Prrr - schmeckte der erste Schluck bitter! Aber man gewöhnt sich dran. Und er stillt wunderbar den Durst und erfrischt auch die müdesten Urwaldgänger. Nun sitze ich vor dem einfachen Holzhaus, ein Brett auf den Knien, und schreibe an Dich. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie hart und entbehrungsreich ein solches Siedlerleben ist, stunden und tageweit von einem Verkehrsweg entfernt. Herr Schmidt, unser Gastgeber, hat sich hier niedergelassen, weil es nach brasilianischen Entfernungen nicht allzu weit zur nächsten Flugstation ist, der einzigen Verbindung zur übrigen Welt, und weil das Land hier gut ist und für den Anbau geeignet.

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Aber ob es ihm gelingt, eine Hacienda zu errichten, eine wirkliche Farm? Wir fragten, wann das nächste Flugzeug käme. "Geduld, Geduld, nicht morgen, nicht übermorgen - erst in vier Tagen!" Aber dann soll es auf die Minute pünktlich kommen. Wir ruhen uns aus. Unter Moskitonetzen können wir auch nachts wieder schlafen, obgleich man oft plötzlich aufwacht, weil es im Zimmer raschelt und knackt. Große Käfer und Spinnen kommen ins Zimmer. Machst Du plötzlich Licht, kriechen Schlangen schnell ins Dunkel unters Bett, leuchtest Du auf die Wand, sitzen dort Eidechsen, die auf Insektenjagd gehen. Es sind komische, kleine Burschen. Geckos heißen sie. Sie können sogar an der Decke mit dem Rücken nach unten laufen. Du richtest Dich auf - und schwupp sind sie in einem Spalt zwischen zwei Brettern verschwunden. Einmal nachts bin ich aber auch furchtbar erschrocken.! Ein Glück, daß wir unter Moskitonetzen schliefen! Sitzt da, wie ich aufwache, eine große Fledermaus auf meinem Netz. Das war wie ein Alptraum. Am Abend hatte Herr Schmidt von diesen Blutsaugern erzählt, den Vampiren, die Menschen und Tieren Blut abzapfen. Jetzt saß das Tier dicht vor mir, konnte mich aber durch das Netz nicht erreichen. Am Morgen sahen wir, daß solch ein Vampir das Pferd von Herrn Schmidt angefallen hatte. Es waren deutliche Bißwunden zu sehen. - Überhaupt die Fledermäuse! Lautlos kommen sie nachts ins Zimmer, fliegen an den Wänden! Auf und ab, um Schaben und allerhand Insekten zu fangen. Und; Frösche gibt es hier! Brasilien ist das Land der Frösche. Die machen ein Konzert, das man kaum beschreiben kann. In der Regenzeit ist es am tollsten. Bei uns in Deutschland quaken doch die Frösche, nicht wahr? Aber hier in Südamerika brüllen sie und grunzen, hämmern und trillern, knarren und pfeifen. Es ist das reinste moderne Orchesterkonzert. Abends, wenn es dämmert, hört man ein dumpfes Glucksen. Das klingt, als käme es aus einem tiefen Keller. Es stammt von der Riesenkröte, einem Tier, das gut 30 Zentimeter lang wird! - Genug für heute! In wenigen Tagen geht's zum Flugplatz und dann mit der Verkehrsmaschine nach Rio.

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